Hier eine Geschichte zum Nachdenken....

Das Märchen von den kleinen Brötchen

(eine Adventsgeschichte)

Es war einmal ein junger, geschickter Mann, der wegen des Krieges seine Schule nicht abschließen und wegen der Not in der Nachkriegszeit nicht studieren konnte. Er lernte ein Handwerk, wurde Geselle und dann Meister und machte sich selbstständig. Er heiratete eine liebe Frau, die ihm im Geschäft half und ihm neben all seiner Arbeit sechs Kinder gebar.

Das Ehepaar lebte sparsam und war fleissig. Der Erfolg blieb nicht aus: aus dem Handwerksbetrieb wurde ein kleiner Industriebetrieb und aus diesem später ein richtig großes Unternehmen.

Sagten die Eltern: unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir, die wir nur immer hart gearbeitet haben. Wir haben genug verdient, um Ihnen ein gutes Studium zu ermöglichen. Sollen sie doch später geehrt und geachtet einen akademischen Beruf ausüben.

Die Mutter feierte ihren 65. Geburtstag, es erschienen die Kinder und es gab wie früher die von der Mutter selbst gebackenen kleinen Brötchen, innen mit Biß und außen knusprig, köstlich schmeckend ganz gleich ob mit Leberwurst oder mit Marmelade bestrichen.

Der Älteste, beratender Betriebswirt, überschlug die Selbstkosten und kam zu dem Ergebnis, daß unter Berücksichtigung des kalkulatorischen Unternehmerlohns die Eigenproduktion unwirtschaftlich sei; der Bäcker könne billiger liefern. Man käme zu einem anderen Ergebnis, wenn man in Serie ginge, was voraussetze, daß die Aufmachung verbessert werden würde. Er dächte an Sechserverpackungen in Klarsichtfolie. Der break-even wäre bei einer Tagesproduktion von 446,6 Brötchen erreichbar.

Der zweite, Steuerberater, gab zu bedenken, daß dann bei einer weiteren positiven Entwicklung gewerbesteuerliche Probleme auftreten, denen man aber durch eine Umwandlung in eine GmbH begegnen könnte. Von einer Betriebsaufspaltung würde er abraten, zumal mit einer rechtzeitigen Schenkung des Grundstücks an die Kinder verhindert werden würde, daß dieses Betriebsvermögen würde. Es bliebe dann Privatvermögen.

Die älteste Tochter, Juristin, beanstandete den Verteilungsmodus. Die einzelnen Brötchen wären unterschiedlich groß. Dies wäre ein eklatanter Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz und gegen das Gleichheitsprinzip.

Die zweite Tochter, Ernährungswissenschaftlerin, äußerte gesundheitliche Bedenken hinsichtlich der Verwendung von Weizenmehl. Das ganze im Rohzustand - Körner oder Weizenflocken - mit naturbelassener Vollmilch wäre entschieden gesünder.

Die jüngste, Soziologin, und politisch aktiv, begrüßte einerseits die Selbsthilfe der Familie - Eigenproduktion der Brötchen statt Herstellung durch den profitorientierten Bäcker - andererseits beklagte sie die Ausbeutung der Mutter, die hier arbeiten muss, während die Familie feiert. Im übrigen sei es höchst verwerflich und ein Verstoß gegen den bereits von der ältesten Schwester erwähnten Gleichheitsgrundsatz, daß nicht jedes zweimal (Quotenregelung) vom Vater gebacken wird. Dessen Hinweise auf seinen Besitzstand wurden übereinstimmend verworfen.

Der jüngste, frischgebackener Wirtschaftsprüfer, um seine Meinung gefragt, äußerte, er könne an sich erst nach eingehender Prüfung des Sachverhalts Stellung nehmen, doch wäre er schon jetzt aufgrund seiner Erfahrungen in der Lage, den uneingeschränkten Bestätigungsvermerk in Aussicht zu stellen, daß nach seiner pflichtgemäßen Prüfung der Herstellungsprozeß einer ordnungsgemäßen Bäckerei entspricht und die Brötchen als solche - hinsichtlich Konsistenz und Geschmack - das Bild eines wohlgelungenen Backwerks vermitteln.

Hätte er gesagt, die Brötchen würden ihm schmecken, wäre nichts weiter passiert, doch hatte ihn die Mutter nicht verstanden und sich auch so sehr über die Äußerungen ihrer übrigen Kinder geärgert, daß sie vor Gram einen Herzschlag erlitt und starb, und das in der seligen, fröhlichen Vorweihnachtszeit.

Zur Beisetzung an einem trüben Dezembertage traf sich die Familie wieder.
Es gab keine Brötchen, den das Backen hatte keines der Kinder gelernt.

Jedes Märchen hat seine Moral. so auch dieses:

Vorsicht vor Akademikern ohne praktische Erfahrung; im Spinnen sind sie alle gut, doch kleine Brötchen backen - das können sie nicht.

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